"Keine Straße in der Region bündelt so viel Verkehr"

Das Regierungspräsidium stellt neue Pläne für einen
Nordostring um Stuttgart vor - doch die Realisierung steht in den Sternen

STUTTGART. Seit Jahrzehnten ist der Nordostring umstritten, die ersten Pläne datieren aus den sechziger Jahren. Obwohl das Projekt im Verkehrswegeplan des Bundes durchgerutscht ist hat das Regierungspräsidium jetzt eine neue Trasse präsentiert.

Zwei Wochen ist es her, dass sich die Welt des Verkehrspolitikers Boris Palmer aufgehellt hat. Der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans ließ den Landtagsabgeordneten der Grünen frohlocken. Nach Rücksprache mit den Parteifreunden in Berlin verkündete Palmer, der umstrittene Nordostring übers kostbare Schmidener Feld sei "erledigt". In der Liste tauche die Verbindung zwischen den Bundes-straßen 14, 29 und 27 erst weit hinten auf. "Weiterer Bedarf" steht jetzt über dem Vorhaben. Nach Boris Palmers Lesart heißt das so viel wie "chancenlos".

Anders wird der Fall von Regierungspräsident Udo Andriof bewertet. "Mir erscheint das eine verfehlte Sicht der Dinge", sagte Andriof gestern in Stuttgart. Nach seiner Einschätzung ist das gesamte Verkehrsnetz bereits heute so überlastet, dass es häufig zu Staus kommt. Durch die Überlastung der Hauptverkehrsadern weicht ein Großteil der Verkehrsteilnehmer auf Landes? und Kreisstraßen aus, was zu einer erheblichen Belastung der engen Ortsdurchfahrten führt." Vor diesem Hintergrund hat der Behördenchef den Nordostring keineswegs abgeschrieben, sondern den betroffenen Städten und Gemeinden jetzt überarbeitete Pläne einer Trasse zwischen Fellbach und Kornwestheim präsentiert (siehe Grafik). Die bestehende Landesstraße 1197 bleibt nach den Plänen im Bereich des Tennhofs und des Hartwaldes bei Oeffingen unverändert. Die angrenzenden Streuobstwiesen werden mit einem 430 Meter langen Tunnel unterquert.

Das Regierungspräsidium beziffert die Kosten des Nordostrings auf 106 Millionen Euro. Die neue Straße sei für täglich bis zu 70.000 Fahrzeugen ausgelegt. Eine Alternative sieht Andriof zu diesen Plänen nicht. Wer das Projekt einfach in die Schublade verbanne, handle "nicht sehr verantwortlich gegenüber den Bürgern und der Wirtschaft". Dies um so weniger, als der Verkehr in der Region weiter zunehmen werde.

Nach Angaben des Regierungspräsidenten würden beispielsweise an der chronisch verstopften Neckarbrücke in Neckarrems ohne Nordostring im Jahr 2010 täglich rund 36.000 Autos verkehren. Mit Nordostring seien es fast 60 Prozent weniger. Auf der Mühlhäuser Straße in Stuttgart Hofen rechnen die Verkehrsexperten mit einer Entlastung von 47 Prozent, auf der Landesstraße 1127 bei Affalterbach von 70 Prozent, in der Fellbacher Schaflandstraße von 39 Prozent. Kaum eine andere Straße in der Region bündle so viel Verkehr und habe "einen so hohen Nutzen", sagte Udo Andriof.

Gleichwohl ist der geplante Nordostring bei den Anrainerkommunen heftig umstritten. In Fellbach etwa wird die vierspurige Trasse über das ertragreiche Schmidener Feld parteiübergreifend abgelehnt, ähnlich wie in Waiblingen. Auch in Remseck, Ludwigsburg und Kornwestheim werden die Planungen eher skeptisch verfolgt. Entscheidend ist für den keineswegs einstimmig singenden Chor der Kritiker vor allem die Qualität der Anschlüsse an die bestehende B 27. Eine zweispurige Trasse als Verbindung von B 27 und B 14, so heißt es, würde möglicherweise auch den Zweck erfüllen. Dass die betroffenen Städte und Gemeinden durch ihre höchst unterschiedlichen Ansichten die Finanzierung des Projekts nicht eben gefördert haben, steht für Andriof außer Zweifel.

Der Zwist um einen Ringschluss des überregionalen Straßennetzes um Stuttgart ist nicht neu. Seit 1959 schon beschäftigen sich Politiker, Behörden und Bürger mit der Frage einer "Ostumgehung", so damals der Arbeitstitel einer Expertise des Autobahnamtes. Bis weit in die 70er Jahre hinein favorisierten Land und Bund die aus diesen ersten Überlegungen entstandenen Pläne für eine "Neckar?Alb?Autobahn": eine 57 Kilometer lange Strecke von der A 81 bei Mundelsheim über Backnang und Schorndorf zur A8 bei Kirchheim/Teck. Erst 1979 verabschiedete sich die Landesregierung von diesem höchst umstrittenen Großprojekt ? um fortan an kleinräumigeren Lösungen zu basteln, ohne dass je eine Planung realisierungsreif geworden wäre.

Sollte die Bundesregierung im aktuellen Fall doch noch umschwenken, könnte der Nordostring auch nicht von heute auf morgen gebaut werden. Der früheste Baubeginn, so Andriof, sei dann im Jahr 2007.

Geplanter Nordostring

Von Michael Ohnewald und Achim Wörner,
Stuttgarter Zeitung vom 04.04.2003
www.stuttgarter-zeitung.de

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