„Das Auto ist in unserem Kopf"

Der Verkehrsexperte Hermann Knoflacher spricht sich in einem Vortrag gegen den Ausbau des Straßennetzes aus

Fellbach. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Mit diesem Satz könnte laut Hermann Knoflacher das Schaffen vieler Verkehrsplaner umschrieben werden. In einem launigen Vortrag hat der Wissenschaftler die Grundlagen des Straßenbaus infrage gestellt.

Dass Hermann Knoflacher mit dem Zug von Wien nach Stuttgart gereist war, ist für einen Verkehrsexperten wohl weniger ungewöhnlich als die Aussage, die er bei seinem Besuch im Kernland der Automobilindustrie im Gepäck hatte: „Jede Art von Politik, die heute noch für einen Fahrbahnausbau eintritt, handelt unethisch und verantwortungslos", sagte der Referent am Freitagabend vor rund 110 Zuhörern bei einer Veranstaltung, die die Arge Nordost mit Unterstützung der Stadt Fellbach, des Naturschutzbundes (Nabu), des Bunds für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und des Landesnaturschutzverbandes (LNV) im Rathaus anberaumt hatte.

„Im 20. Jahrhundert ist mehr Natur durch Fahrbahnbau zerstört worden als in der gesamten Menschheitsgeschichte", sagte der Professor von der Technischen Universität Wien und bezeichnete dies als Folge einer ganzen Reihe von Irrtümern, denen Verkehrsplaner hartnäckig unterlägen. „Das herkömmliche Verkehrswesen ist keine Wissenschaft, sondern eine Zunft." Das Tun vieler Verantwortlicher basiere auf Mythen, die sich zu Prinzipien verfestigt hätten.

Einer der Trugschlüsse, mit der Straßenbau - vor allem in Form von Autobahnen - begründet werde, liege in der vermeintlichen Zeiteinsparung durch die Geschwindigkeitserhöhung. „Nirgends auf der Welt" sei bisher ein solcher Effekt beobachtet worden. Stattdessen führten höhere Geschwindigkeiten nur dazu, dass längere Wegstrecken zurückgelegt würden. Hinzu kommt, dass Menschen nicht jede Minute gleich wahrnehmen. „Fußwegezeit wird überschätzt." Zurückzuführen sei dieses Phänomen darauf, dass die Information nicht aus der Weglänge, sondern aus dem Energieverbrauch gewonnen werde. „Die Physiologie zwingt uns dazu, das Auto zu benutzen. Es ist in unserem Kopf."

Dass Autobahnen nicht nur die Lebensqualität der Menschen beeinträchtigen, sondern auch die regionale Wirtschaft bedrohen, zeigt sich laut Knoflacher unter anderem in Ostdeutschland. Grund: „Autobahnen schaffen sich ihre eigenen Strukturen." Entlang der Trassen siedelten sich häufig Einkaufszentren und andere große Unternehmen an, die das Geld aus den umliegenden Städten und Gemeinden abziehen. Der Referent ist sich sicher: „Wir haben viel zu schnelle Verkehrssysteme für eine viel zu kleinräumige Wirtschaft." Knoflachers Botschaft deshalb: „Autobahnen passen nicht mehr in die Zukunft."

Die Arge Nordost hat das Thema angesichts der anhaltenden Nordost-Ring-Debatte bereits mehrfach in Informationsveranstaltungen aufgegriffen. „Dieses Mal wollten wir auf das eingehen, womit die Pläne begründet werden: die verkehrliche Notwendigkeit", sagte der Vorsitzende Joseph Michl. Fellbachs Erster Bürgermeister Günter Geyer bekräftigte in Vertretung von Oberbürgermeister Christoph Palm, der die Schirmherrschaft für die Veranstaltung übernommen hatte, die Haltung der Stadtverwaltung: „Wir wollen eine sinnvolle Straßenverbindung, die lokale räumliche Entlastung bringt, aber keine Abkürzung für den Schwerverkehr."


Kritisch gegenüber Straßenbau: Hermann Knoflacher (links) und Joseph Michl.

Text & Foto Katja Edler, Fellbacher Zeitung vom 20.10.2008
www.stuttgarter-nachrichten.de

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